Konzentrierter Sonnenschein
Die chemische Verbindung 1,3,7-trimethylxanthine, besser bekannt als Koffein, ist die wohl am häufigsten konsumierte psychotrope Substanz auf der Welt. Nicht nur bei den Menschen, sondern im gesamten Tierreich erfreut sie sich großer Beliebtheit. Dabei ist das natürliche Angebot auch vielseitiger als gemeinhin angenommen: Koffein kommt in den Pflanzenteilen von Kaffee, Kakao, Guarana, Tee und Kolanüssen vor, als auch in den Blüten und dem Nektar einiger Zitrusfrüchte.
Alexander von Humboldt bezeichnet eine Tasse Kaffee als konzentrierten Sonnenschein und verdeutlicht damit sehr anschaulich den Stellenwert des Getränks und dessen Wirkung auf den Menschen.
Dabei war in erster Linie eben diese Wirkung und nicht der Geschmack für seine weltweite Verbreitung verantwortlich. Ebenso wie es bei anderen „Drogen“ selten der Fall ist, dass sie aufgrund des Geschmacks konsumiert werden. Was ist der adaptive Vorteil einer Pflanze, die zu einem Koffeinproduzenten wird?
Welche Funktion erfüllt das Koffein in den Pflanzen, die es in sich tragen?
Die Wirkung des Koffeins auf das Nervensystem des Konsumierenden machen sich die Pflanzen auf zweierlei Wegen zunutze:
Da ist zum einen die Verteidigungsfunktion. Die Produktion des Koffeins dient den Pflanzen zum Schutz vor Fressfeinden. Durch den bitteren Geruch und den Geschmack des Koffeins und die in höheren Dosierungen auftretende toxische Wirkung auf den Organismus, werden die Pflanzen in der Regel von den Tieren gemieden. Dieser Schutzmechanismus diente lange Zeit als ausreichende und alleinige Begründung für die Daseinsberechtigung von Koffein.
Aber wie in den letzten 10 Jahren von Wissenschaftlern nachgewiesen werden konnte, hatten sich die Pflanzen einen weiteren Vorteil für die Auslese verschafft: durch die Loyalitätsfunktion:
Das Koffein ist eine psychoaktive Substanz, die sich in der richtigen Dosierung anregend auf den Wahrnehmungsapparat des Konsumierenden auswirken kann. Das Stimulans erhöht Aufmerksamkeit, Erinnerungsvermögen, Konzentrationsfähigkeit, Motivation, Zuversicht – kurz: es macht wach und belebt.
Dies ist wahrlich nichts Neues und sicher der Grund, warum es Millionen Menschen täglich in unsere Cafés treibt. Nur waren die Menschen nicht die ersten Koffeinabhängigen!
Wer waren die ersten Kaffeejunkies?
Die Bienen. Eine wissenschaftliche Studie aus dem Jahre 2013 konnte darlegen, dass einige Pflanzen durch den Koffeingehalt in ihren Blüten besonders Bienen zu ihren Stammgästen machen konnten. Die Bienen orientieren sich an dem Duft der Blüten und suchen mit Vorliebe Pflanzen auf, von denen sie bereits für die Bestäubung mit Nektar belohnt wurden.
Enthält der Nektar außerdem Koffein, induziert er bei den Bienen eine gesteigerte Konzentration und Gedächtnisleistung. So finden die Kunden noch häufiger zu eben denselben Pflanzen zurück. Indem sie die Bienen durch die Koffeinproduktion zu zuverlässigen Stammgästen machen, profitieren die Wirte durch gesteigerte Bestäubung und damit Vermehrung ihrer Population. Das Geschäft läuft.
Die Analogie dieser zweiten evolutionären Strategie zum Verhältnis von Röstereien und Cafébetreibenden zu euch Kunden ist evident. Unnachgiebig locken wir mit dem immer gleichen Rauschmittel in unterschiedlichem Gewand von Röstungen, Mischungen, ungewöhnlichen Spezialitäten und Getränkekreationen, der Manipulation eurer Gewohnheit wegen. Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass in den letzten Jahrzehnten auch durchaus der komplexe und feine Geschmack des Getränks überzeugender geworden ist und zur Beliebtheit beiträgt. Nichts aber täuscht am Morgen bei einem Blick in die Gesichter darüber hinweg, dass es euch eigentlich nur um den Stoff geht – den Kick, das Einfangen des Geistes und den Tropfen konzentrierten Sonnenscheins, der die Dinge an den rechten Platz rückt.
Natürlich schreibt dies ein Junkie und Dealer, der selbst höchst abhängig ist und sich auch ohne Wiederkehr diesem Weg verschrieben hat. Denn das Leben will gelebt werden.
Aber auch für die Abstinenten, die Cleanen und die Träumenden haben wir etwas Feines im passenger Regal. Für manche mag es eine ganz neue, bedenkenlose Erfahrung, ein Perspektivwechsel sein: PASSENGER COLOMBIAN SUGAR CANE DECAF! Entzaubert von seiner psychotropen Wirkung. Überzeugt ausschließlich durch seinen Geschmack. Achtung: Auch der kann süchtig machen!
Ein Hoch auf die Kraft der Pflanzen.
Referenzen:
- Pollan, Michael This is your mind on Plants Penguin Books, 2021.
- Wright, G.A., et a. „Caffeine in Floral Nectar Enhances a Pollinator’s Memory of Reward.“ Science339, no.6124 (March 8, 2013): 1202-4.